Etwa 200 Menschen folgten am gestrigen Abend dem Aufruf des Bündnis Bleiberecht. Am Holzmarkt protestierten sie mit Schildern und Kerzen unter dem Motto „Abschiebung ist keine Lösung“. Das Bündnis Bleiberecht rief zu weiteren spontanen Protestaktionen bei kommenden Abschiebungen sowie gegen den Auftritt von Innenminister Strobl am 15. März in Tübingen auf.
Die Bundesregierung schiebt weiter mit der Brechstange nach Afghanistan ab. Bei der gestrigen dritten Sammelabschiebung wurden 18 Personen (geplant: 50) von München nach Kabul abgeschoben. Betroffen sind offenbar insbesondere Menschen, die schon seit mehreren Jahren, häufiger nur mit einer Duldung in Deutschland leben. So konnte die Abschiebung eines Vaters mit einem behinderten Sohn, die schon seit 17 Jahren in Deutschland sind, nur knapp verhindert werden.
Das „offene Mikrofon“ nutzten zahlreiche Personen für kurze Ansprachen:
- Andreas Linder forderte die Landesregierung auf, sich den bisher 6 Bundesländern anzuschließen, die sich an den Afghanistan-Abschiebungen nicht beteiligen. Er forderte die Landes-Grünen auf, sich an ihre politischen Grundsätze zu erinnern statt der Linie des CDU-Innenministers Strobl zu folgen. Er kritisierte auch die gleichzeitige Sammelabschiebung nach Serbien und Mazedonien.
- Eine Frau, die Sprachunterricht für Geflüchtete macht, brachte zum Ausdruck, dass sie die Abschiebepolitik der Bundesregierung nicht mehr ertragen kann und das Gesicht von Innenminister de Maiziere im Fernsehen nicht mehr sehen kann.
- Ein junger afghanischer Flüchtling appellierte an die Deutschen, dass die Menschenrechte von afghanischen Geflüchteten nicht den politischen Diskussionen in Deutschland zum Opfer fallen dürfen. Er bedankte sich für die Unterstützung, die er und viele andere in Deutschland bekommen und hofft darauf, dass er keine Angst haben muss, nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden.
- Istvan Farkas, serbischer Asylsuchender aus Balingen, stellte fest, dass Roma kein „sicheres Herkunftsland“ haben. In den Balkanstaaten gebe es zwar keinen Krieg wie in Afghanistan, doch insbesondere Roma seien von einem „Krieg ohne Krieg“ betroffen. Rassismus, Diskriminierung, Ignoranz sowie soziale und politische Ausgrenzung seien ein schleichender Krieg, der die Menschen zermürbe und zerstöre. Die Menschen, die aus diesen Ländern kommen und Schutz suchen, als bloße Wirtschaftsflüchtlinge abzustempeln, sei die gleiche Ignoranz.
- Asylpfarrerin Ines Fischer aus Reutlingen stellte den Offenen Brief von Reutlinger Unterstützerkreisen an die Landesregierung vor. In diesem wird die Empörung über die rücksichtslosen Abschiebungen in das Kriegsland Afghanistan zum Ausdruck gebracht. Der UNHCR-Bericht vom Dezember 2016, der ja von der Bundesregierung angefordert worden sei, mache eindeutig klar, dass es keine sicheren Gebiete in Afghanistan gibt und dass von daher afghanischen Flüchtlingen ein Flüchtlingsschutz erteilt werden muss.
- Heike Hänsel (MdB Die Linke) informierte über die überregionalen und internationalen Proteste gegen Abschiebungen und stellte Initiativen vor, die sich darum kümmern, dass nach Afghanistan Abgeschobene ein Rückkehrrecht erhalten. So soll ein afghanischer Künstler die Hauptrolle in einem Theaterstück in München bekommen. Sie rief zur Organisation von kulturellen Projekten auf, wie von der Gesellschaft Kultur des Friedens praktiziert.
- Aktive der SDAJ Tübingen wiesen darauf hin, dass Krieg nach wie vor die Fluchtursache Nr. 1 sei. Und diese Fluchtursache gehe eindeutig auch von Deutschland aus. Etwa Heckler&Koch oder Rheinmetall sind durch ihren Profit, den sie mit Waffenexporten erwirtschaften an Krieg und Flucht maßgeblich mitbeteilgt. Es sei Zeit, diese deutsche Mitschuld an den Fluchtursachen konkreter zu benennen und dagegen vorzugehen.
- Eine Aktive der Informationsstelle Militarisierung kritisierte die Aufrüstung der europäischen Außengrenzen, bei der ebenfalls deutsche Firmen in hohem Maß profitieren. Je massiver die Abschottung der Grenzen werde, desto höher die Zahl der Todesopfer unter den Flüchtlingen. Sie wies auf ein neues IMI-Fact-Sheet zu Afghanistan hin.
- Matthias Schuh vom Freundeskreis Asyl Schellingstraße hob hervor, dass auch Mitarbeiter*innen von Ämtern und Behörden eine persönliche Verantwortung für das Schicksal der von ihnen zwangsrückgeführten Asylbewerber trifft und diese sich nicht hinter Paragraphen und Dienstanweisungen verstecken dürften. Sachbearbeiter*innen hätten Ermessensspielräume, die sie nutzen könnten um Zwangsrückführungen zu verhindern, Beamte ein Remonstrationsrecht, das sie sogar verpflichtet grundrechts- oder menschenrechtswidrigen Anweisungen zu widersprechen und diesen nicht unmittelbar Folge zu leisten. Er forderte auch Menschen aus diesen Bereichen zur Zivilcourage auf, wenn sie zum Vollzug von Abschiebungen gezwungen werden sollten, bei denen die Menschenrechte in Gefahr sind.