+++ Prozessauftakt in Ellwangen abgesagt +++ VG Hamburg: Flüchtlingsunterkünfte sind grundgesetzlich geschützter Wohnraum +++ Kein Betreten/Durchsuchung ohne richterlichen Beschluss… +++ …auch nicht im Rahmen eines Abschiebeversuchs +++
Nach Informationen der Schwäbischen Zeitung zweifelt das Amtsgericht Ellwangen daran, dass der Polizeieinsatz in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen am 3. Mai 2018 rechtmäßig war.
Bei der damaligen Großrazzia hatten rund 500 Polizisten die LEA unter massiver Gewaltanwendung gestürmt, Zimmer betreten und die Bewohner aus dem Schlaf gerissen, aus den Betten gezogen, mit Kabelbindern gefesselt und zu Boden gebracht.
Bei dem damaligen, ohne richterlichen Beschluss durchgeführten Einsatz wurden elf Bewohner der LEA verletzt, 26 Bewohner versuchten zu fliehen. 27 wurden wegen angeblichen Widerstands gegen die Polizei vorläufig festgenommen.
Laut „Schwäbischer Zeitung“ hat der zuständige Amtsrichter mittlerweile erhebliche rechtliche Bedenken, was den Polizeieinsatz angeht. Sollte dieser nicht rechtmäßig gewesen sein, wäre der Widerstand der Geflüchteten dagegen nicht strafbar.
Der ursprünglich für diese Woche geplante Prozessauftakt gegen drei Bewohner der LEA wegen „Widerstands“ gegen die Polizei wurde daraufhin abgesagt – die Staatsanwaltschaft soll nun zunächst erneut klären, auf welcher Rechtsgrundlage und auf wessen Weisung die Razzia erfolgt ist (Anmerkung: wir hätten da so einen Verdacht…).
Auch für die Klage des aus der LEA Ellwangen abgeschobenen Geflüchteten Alassa M. gegen das Land Baden-Württemberg wegen des brutalen Polizeieinsatzes in der LEA dürfte die weitere Entwicklung in dieser Frage wichtig sein.
Den Bedenken des Amtsgerichts Ellwangen fußen sehr wahrscheinlich auch auf einem sehr grundsätzlich formulierten aktuellen Urteil des VG Hamburg vom 15.02.2019 ( 9 K 1669/18), das – insbesondere wenn sich das AG Ellwangen dieser Rechtsauffassung nun anschließt – bundesweite Signalwirkung entwickeln dürfte.
In dem lesenswerten Hamburger Urteil wurde erstmals richterlich festgestellt, dass auch die Unterbringung von Geflüchten in einer vom Staat betriebenen Sammelunterkunft (Wohncontainer) als grundgesetzlich geschützter Wohnraum (Art. 13 GG) zu betrachten ist, dessen Betreten oder gar Durchsuchen nicht allein auf Anordnung von Regierungspräsidium oder Ausländerbehörde, sondern ausdrücklich nur mit richterlicher Genehmigung oder im Falle von Gefahr im Verzug erlaubt ist.
Ein behördlicher Abschiebeversuch erfolge jedoch nicht zur Abwehr einer „dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Da die Behörden die Abschiebung bereits mehrere Wochen zuvor geplant hätten, habe auch keine „Gefahr im Verzug“ mehr bestanden.
Bereits das bloße Betreten der Räumlichkeiten wertete das VG Hamburg dabei ausdrücklich als Durchsuchung, da das Betreten zum Zweck der Abschiebung der dort untergebrachten Person geschehen sei und die Behörden ja nicht hätten wissen können, ob der Betroffene anwesend sei – damit habe mit Betreten des Zimmers des Betroffenen zwangsläufig ein aktives Suchen stattgefunden, nicht nur ein „kurz mal reinkucken“ (durch das eine „Störung der Ausreisepflicht“ durch den Betroffenen nach Ansicht der VG Hamburg sowieso nicht hätte abgewendet werden können…).
Das Urteil des Hamburger Gerichts unterstreicht, dass es bei schutzwürdigen Rechten keinerlei Unterscheidung zwischen Menschen der Mehrheitsbevölkerung und Geflüchteten geben darf. Menschenrecht ist Menschenrecht – hoffentlich bald auch im Süden der Republik!