Update 29.09.2018, 14:00 Uhr: knapp 150 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund haben sich an der heutigen Parade „Seebrücke statt Seehofer“ in Tübingen beteiligt.
siehe auch: TV-Bericht von RTF1
Bei der Auftaktkundgebung am späten Vormittag vor dem Bürgeramt in der Schmiedtorstraße wurde der von Migrant*innen verfasste Aufruf zur „We’ll come united“-Parade verlesen, zu der sich ebenfalls am heutigen Tag in Hamburg abertausende Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengefunden haben, um gemeinsam ein Zeichen der Solidarität für die Rechte von Migrant*innen und gegen Rassismus, Abschiebepolitik und das Sterben auf dem Mittelmeer zu setzen.
Anschließend zog der bunte und lautstarke Paradezug mit viel Musik kreuz und quer durch die Gassen der Tübinger Altstadt. Nach Einschätzung der Veranstalter konnten dadurch auch viele zunächst unbeteiligte Passant*innen positiv in die Aktion mit eingebunden und informiert werden.
Bei der Abschlußkundgebung in der Neuen Straße gab es weitere Redebeiträgen zur EU-Migrationsverhinderungspolitik bis weit auf den afrikanischen Kontinent hinein, und massive Kritik an den aktuellen Sammelabschiebungen in dieser Woche (u.a. auch in das Bürgerkriegsland Nigeria). Ebenfalls kritisiert wurden die seit Jahresbeginn laufend und teils mit großer Brutalität durchgeführten Abschiebungen aus der LEA Ellwangen und anderen Lagern, bei denen in letzter Zeit gezielt Geflüchtete herausgegriffen wurden, die dort unter widrigsten Verhältnissen versucht hatten, solidarische Strukturen zu entwickeln.
Bei aller Kritik wurden aber auch viele mutmachende Beispiele aus ganz Europa thematisiert, wie sich auf kommunaler Ebene Verwaltungen und Gemeindegremien offen dazu entschließen, solidarische Orte zu sein aus denen Geflüchtete nicht ausgegrenzt und abgeschoben werden: Städte und Gemeinden, in denen sich die öffentliche Verwaltung grundsätzlich nicht mehr an Maßnahmen zur Vertreibung von Geflüchteten beteiligt, und Bürgermeister, die sich aktiv für ein Bleiberecht aller Menschen gleich welcher Herkunft in ihren Gemeinden einsetzen. Stichwort „Solidarity City“ – Eine Perspektive auch für Tübingen?
Randnotiz: die Abschlußkundgebung fand leider nicht wie ursprünglich angemeldet und genehmigt auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, und auch nicht am spontan vom Ordnungsamt angebotenen Ausweichplatz auf dem Holzmarkt statt, da beide Orte wegen der Bach-Tage bereits von Orchestern und Chören belegt waren – wovon den Ordnungsbehörden angeblich zuvor nichts bekannt war.
Aufruftext zur Tübinger Parade
Das Problem ist Rassismus, nicht Geflüchtete!
Während in Chemnitz, Köthen und Dortmund ein rechter Mob wütet, Neonazis – darunter ein Polizist – in Wiesloch bei Heidelberg eine türkische Eisdiele überfallen [1], der bald ehemalige Chef des Verfassungsschutzes Hans Georg Maaßen Öffentlichkeit und Bundestag belügt, (nicht nur im Fall Chemnitz), werden weiterhin Menschen in Krieg, Not und Elend abgeschoben.
Gleichzeitig schüren Politiker wie der Innenminister Horst Seehofer [2] und auch der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer [3] rassistische Stereotype und fachen auch immer wieder mit neuen repressiven und gegen Geflüchtete gerichteten Forderungen die Stimmung an. Für Wählerstimmen fischen sie am rechten Rand. Dabei spielen sie nicht nur mit dem Feuer, sie haben schon längst einen Brand gelegt.
Wir sagen, wer der Bevölkerung kaum mehr zu bieten hat als Feindbilder und Angst, der sollte gehen.
Das ist nicht die Welt, in der wir leben wollen. Wir wollen eine Welt, ein Land, eine Stadt, in der alle gemeinsam eine bessere Zukunft gestalten können und in der die Antwort auf gravierende Missstände, Unsicherheit und Armut nicht ist, Menschen gegeneinander auszuspielen.
Und wir wollen kein Europa, das Menschen zu Tausenden ertrinken [4] und verdursten [5] lässt. Auch wenn Neonazis und Rechtsaußenparteien mit geschickten Medienstrategien versuchen, einen gegenteiligen zu Eindruck zu erwecken [6]:
Die übergroße Mehrheit in Deutschland steht für die Einhaltung der Menschenrechte und die Geltung des Asylrechts [7].
Stattdessen machen wir uns stark für eine solidarische Gesellschaft, die ohne Kriege, ohne Mauern und ohne Abschiebungen auskommt. Wir wollen, dass die Menschenrechte und das Wohlergehen aller Menschen wichtiger sind als Profit und Kommerzialisierung. Lasst uns zusammen auf die Straße gehen für eine Politik, die Verantwortung für Missstände übernimmt und nach gemeinsamen und nachhaltigen Lösungen sucht, dass allgemeiner Wohlstand, statt der Profit Weniger steigt.
Eine solche Welt ist möglich. Gemeinsam, solidarisch und weltoffen. Am 29.September wird in Hamburg eine bunte, große und bundesweit organisierte Parade unter dem Motto „We‘ ll Come United“ stattfinden. Leider werden viele Tübinger*innen durch Zeit und Entfernung nicht daran teilnehmen können. Deswegen möchten wir in Tübingen den Tag nutzen und organisieren ebenfalls eine kleine, bunte Parade mit Musik. Kommt dazu und macht mit, für eine Politik der Solidarität und Hoffnung statt Angst.
Start der Parade ist um 11:30 Uhr vor der Ausländerbehörde / Bürgeramt Tübingen, Schmiedtorstr. 4
[1] https://bit.ly/2Nzr3nE [2] https://bit.ly/2IcjLjN [3] https://bit.ly/2MYo6b4 [4] https://bit.ly/2xvkZCv [5] https://bit.ly/2QVxwHx [6] https://bit.ly/2Ite3ct [7] https://bit.ly/2zqSlUq