Redebeitrag von Matthias Möhring-Hesse, Professor für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen auf der Kundgebung „Mit Herz gegen Härte“ am 15.03.2017
Sein Herz will er heute abend zeigen, unser Landes-Innenminister. Wenn auch nur in geschlossener Gesellschaft. Sein Herz für Flüchtlinge.
Und Härte will er heute abend zeigen. Vermutlich nicht gegen Rechtspopulisten und gegen Rechtsextremen. Nicht gegen Hetzer und Gewalttäter. Sondern gegen die in die Bundesrepublik geflohenen Menschen. Strobls Härte gegen Flüchtlinge.
Wir stehen auf dem Holzmarkt, nicht als geschlossene Gesellschaft, sondern in aller Öffentlichkeit, um Strobls Härte gegen Flüchtlingen zu widersprechen. Der Härte, die Strobl als Landes-Innenminister und als Landesvorsitzender einer in Regierungsverantwortung stehenden Partei seit Wochen und Monaten gegen Flüchtlinge inszeniert; und der Härte der von der baden-württembergischen Landesregierung betriebenen Abschiebepolitik. Wir halten es für falsch, eine Flüchtlings- und Migrationspolitik danach zu bemessen, dass es möglichst wenig Menschen schaffen, nach Deutschland zu fliehen, oder danach zu bemessen, dass es der deutsche Staat schafft, möglichst viele von den Menschen, die es dennoch nach Deutschland geschafft haben, wieder zurück oder nach irgend woanders hin zu verschaffen.
Was wird unser Landes-Innenminister heute abend wohl über uns vor der »Museumsgesellschaft« sagen? Wie in den letzten Monaten vielfach geschehen, wird er uns vielleicht als Gesinnungsethiker abtun, also als Menschen, die ohne Sinn für die Folgen und Wirkungen ihres Tuns einzig hehren Prinzipien folgen, als Menschen, die keine Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen bereit und in der Lage sind.
Demgegenüber wird er sich selbst als ein Verantwortungsethiker darstellen, als jemand mit Verstand, als jemand, der sein Handeln von den Folgen und Wirkungen her bedenkt, als jemand, der deswegen nicht einfach seinem Herzen oder seinen Idealen folgen kann. Und er würde, wenn er denn so reden würde, große Namen des Geistesgeschichte als Autoritäten anführen: Max Weber etwa, der die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik erfunden hat. Oder Immanuel Kant, auf den sich bereits Max Weber berufen hat.
Seit Max Weber ist die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik immer nur polemisch gemeint. Sie dient dazu, diejenigen zu diskreditieren, die als unverantwortliche Gesinnungsmenschen abgetan werden. Systematisch trägt die Unterscheidung wenig bis gar nichts aus. Und in der konkreten Frage, wie wir in Deutschland mit den in unser Land geflohenen Menschen umgehen, gilt dies umso mehr.
Jedenfalls sind Sie, die Sie Strobls Härte widersprechen, keine Gesinnungsmenschen.
Sie idealisieren weder Flucht, noch die fliehenden und nach Deutschland geflohenen Menschen. Sie reden sich weder die Probleme der Einwanderung, noch die der Integration schön. Gerade weil Sie sich als Freiwillige in der Flüchtlingsarbeit engagieren, wissen Sie auch von den Mühen und Schwierigkeiten der Integration. Und auch Sie wissen, dass nicht alle Flüchtlinge dieser Welt in Deutschland Aufnahme finden können.
Doch Sie übernehmen die Verantwortung für die Menschen, die nun einmal nach Deutschland geflohen sind, die es geschafft haben – auch wenn man ihnen die Flucht so schwer und so gefährlich gemacht hat.
So wenig Sie also Gesinnungsmenschen sind, so wenig ist unser Herr Innenminister ein Verantwortungsethiker. Die von ihm betriebene Politik gegen die nach Deutschland fliehenden und gegen die bereits geflohenen Menschen ist jedenfalls keine verantwortliche Politik.
Sie verbessert nicht die Situation der Flüchtlinge in unserem Land;
sie verbessert nicht die Situation der Menschen auf den Flüchtlingsrouten;
sie verbessert nicht die Situation in den Herkunfts- und Transitländern.
Auch verbessert sie nicht die Sicherheitslage in unserem Land und nicht die Wohnsituation in unseren Kommunen.
Ich könne diese Liste noch fortsetzen …
Diese Politik dient einzig der symbolischen Annäherung an die von den Parteien an den rechten Rand abgedrifteten Wählerinnen und Wählern. Und sie dient womöglich Herrn Strobl bei der strategischen Vorbereitung auf eine CDU nach Merkel. Zu einem verantwortungsvollen Umgang mitden Migrationsbewegungen unserer Zeit und mit den nach Deutschland geflohenen Menschen trägt sie jedoch nicht bei.
Im Gegenteil: Diese Form von harter Einwanderungs- und Abschiebungspolitik geht zu Lasten von Menschen. Nämlich von den Menschen, denen der Weg ihrer Flucht noch mühevoller, noch gefährlicher, ja lebensgefährlicher gemacht wird. Menschen, die in Krisen- und Kriegsgebiete, die in Armut und soziales Elend, Menschen, die trotz Traumata und trotz Krankheiten abgeschoben werden. Familien, die getrennt werden; Kinder und Jugendliche, die in ein ihnen unbekanntes Nichts abgeschoben werden.
Die Folgen und Wirkungen dieser Politik trägt nicht der Herr Landes-Innenminister; und sie trägt auch nicht die Regierung, die er angehört. Weder der Landes-Innenminister noch seine Regierung müssen die Verantwortung für diese Folgen und Wirkungen ihrer Flüchtlingspolitik übernehmen. Mit Verantwortungsethik hat diese Politik also nichts zu tun.
Gerne werden wir zugeben, dass eine verantwortliche Flüchtlingspolitik nicht einfach zu haben und schon gar nicht einfach durchzusetzen ist. Schon gar nicht, wenn man politisch über Jahre hinweg eine entsprechende Verantwortung ignoriert und sie an die Ränder der Europäischen Union delegiert hat. Aber zumindest ein Moment einer verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik scheint mir klar:
Der staatliche Umgang mit den nach Deutschland geflohenen Menschen sollte gerade die Menschen nicht frustrieren, die die Flüchtlinge bei ihrer Integration in ihre neue Heimat mit großem Engagement und unter großem Zeit- und Krafteinsatz begleiten.
Ob als Freiwillige oder als berufliche HelferInnen, ob als Ärztinnen und Ärzte, ob als Verwaltungsmenschen bei den Kommunen oder den Kreisen; ob in den Betrieben oder in den Schulen. Spätestens um deren Engagement nicht zu frustrieren, wird man den Flüchtlingen, mit denen all diese Menschen arbeiten, ein realistische Bleibechance einräumen. Man wird sie nicht in Nacht- und Nebelaktionen aus Deutschland vertreiben – und damit nicht nur diese Menschen nicht ins Nichts stoßen, sondern auch ihre vielen Begleiterinnen und Begleiter nicht vor den Kopf stoßen.
Darf ich aber annehmen, dass viele von Ihnen genau aus dieser Frustration heraus heute der Härte unseres Innenministers widersprechen. Darf ich annehmen, dass sie erfahren mussten, was es heißt, dass Ihnen Menschen, um deren Bleiben Sie Sich gekümmert haben, entrissen wurden.
Eine verantwortliche Flüchtlingspolitik gibt es – das ist zumindest meine Überzeugung – nur im Konsens mit den Menschen, die sich für die Integration und damit für das Bleiben der zu uns geflohenen Menschen engagieren. Es gibt sie nur im Konsens mit Ihnen. Davon aber ist der Herr Innenminister, davon ist auch die gesamte Landesregierung leider noch weit entfernt.