Tübingen, 14.01.2020
Pressemitteilung des Bündnis Bleiberecht Tübingen: Bilal Waqas muss sofort nach Deutschland zurückgeholt werden!
Der Behauptung von Stadtverwaltung und OB Boris Palmer, dass die nächtliche und möglicherweise sogar rechtswidrige Abschiebung unseres Mitbürgers Bilal Waqas am vergangenen Montag aufgrund von „zwingenden Vorgaben des Ausländerrechts“ unvermeidlich gewesen sein soll, muss entschieden widersprochen werden.
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes (Art. 6) sowie weitergehender völker- und menschenrechtlicher Konventionen. Um dieser Forderung nach Schutz von Ehe und Familie Rechnung zu tragen formuliert auch das deutsche Aufenthaltsgesetz ausdrücklich ein schwerwiegendes Bleibeinteresse bei Ausländern, die bereits mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind.
Dieses aus dem Eheverhältnis mit einem deutschen Staatsangehörigen entstehende schwerwiegende Bleibeinteresse ist von den zuständigen Behörden in jedem Einzelfall gegen ein eventuell ebenfalls vorhandenes Ausweisungsinteresse aus weniger schwerwiegenden Gründen abzuwägen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Tübinger Ausländerbehörde bei Bilal Waqas die ihr daraus entstehenden Ermessensspielräume bewusst nicht nutzen wollte.
Bilal Waqas wurde die durchaus realistische Möglichkeit, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, verwehrt. Stattdessen hat nach jetzigem Kenntnisstand die Tübinger Ausländerbehörde aktiv an der möglicherweise rechtswidrigen Abschiebung von Bilal Waqas mitgewirkt, eine junge Familie auseinandergerissen und damit – leider nicht zum ersten Mal – grundlegende Verfassungs- und Menschenrechte von Geflüchteten und Migranten ignoriert.
Besonders in einer angeblich weltoffenen, solidarischen und toleranten Stadt wie Tübingen (die sich, zumindest auf dem Papier, eben erst zu einem „Sicheren Hafen“ erklärt hat), ist dieses Vorgehen der Ausländerbehörde gegen einen unserer Mitbürger unhaltbar – menschlich und moralisch, wie auch rechtlich. Auch der Tübinger OB Boris Palmer steht als deren Dienstherr dabei in der Verantwortung.
Wir fordern deshalb:
- die Tübinger Ausländerbehörde und ihr Dienstherr OB Boris Palmer müssen sich umgehend aktiv auf allen politischen und verwaltungsrechtlichen Ebenen für eine sofortige Rückkehr von Bilal Waqas zu seiner Ehefrau nach Tübingen einsetzen!
- Bilal Waqas muss nach seiner Rückkehr schnellstmöglich eine Aufenthaltserlaubnis, und dann zu gegebener Zeit auch eine unbefristete Niederlassungserlaubis, ausgestellt werden!
- der Grünen-Politiker Boris Palmer soll damit aufhören, die Abschiebung von Bilal Waqas für seine doppelbödige Forderung nach einem sogenannten „doppelten Spurwechsel“ zu missbrauchen – einem Konzept, das von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen u.a. deshalb „nach wie vor nicht angenommen“ wird, weil von Herrn Palmer darin als Bedingung für ein lediglich eng befristetes Bleiberecht für einige wenige Geflüchtete auch gleichzeitig die menschenrechtswidrige Internierung und Isolation von anderen Geflüchteten in geschlossenen Lagern gefordert wird.
- wir wünschen uns auch weiterhin eine sorgfältige Berichterstattung und Diskussion zu diesem Fall. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention darf z.B. einem Flüchtenden gar nicht der Vorwurf der „illegalen Einreise“ in das Land, in dem er Asyl beantragt, gemacht werden. Im vorliegenden Fall war auch die Identität des Betroffenen offenbar so abschließend und eindeutig geklärt, dass er in einem deutschen Standesamt heiraten durfte und er eben kein sogenannter „Identitätstäuscher“ mehr war.
Es wirkt mittlerweile auch auf Landesebene völlig unglaubwürdig, wenn bei jeder noch so fragwürdigen Abschiebungsaktion baden-württembergischer Behörden immer nur auf den konservativen Hardliner Strobl und sein Innenministerium verwiesen wird, während sich der größere Koalitionspartner mit dem weisungsgebenden Ministerpräsidenten an der Spitze jedesmal die Hände in Unschuld wäscht. Gleiches gilt auf Bundesebene, wo die SPD um des Mitregierens willen sämtliche Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts der letzten Jahre mitgetragen hat.
Deshalb fordern wir auch von den VertreterInnen und Abgeordneten aller demokratischen Parteien endlich ein grundlegendes Umdenken, weg von der aktuellen Aufenthaltsbeendigungspolitik hin zu einer breit gefassten und menschenrechtskonformen Aufnahme- und Integrationspolitik. Die unsäglichen Debatten um die angeblich „richtigen“ oder „falschen“ Abzuschiebenden, die auch im Fall von Bilal Waqas sofort wieder aufgeflammt sind, müssen endlich beendet werden – kein Mensch ist illegal, und jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Würde und Sicherheit!