Zu viel Härte, zu wenig Herz. Stellungnahme zum Vorgriffserlass des baden-württembergischen Innenministeriums zur „Beschäftigungsduldung“

Flüchtlingshilfen im Kreis Tübingen
gemeinsam mit Bündnis Bleiberecht Tübingen
Pressemitteilung / Stellungnahme 29.3.2019

Grundsätzlich befürworten wir, dass Baden-Württemberg eine Vorgriffsregelung zur sog. Beschäftigungsduldung erlassen hat. Damit wird möglich, dass abgelehnte Asylsuchende, die in einem festen Arbeitsverhältnis sind, bereits jetzt eine „Ermessensduldung“ erhalten und damit in Deutschland bleiben können, wenn sie die im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum „Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“ vom 18.12.2018 aufgeführten Voraussetzungen erfüllen. Wir sind allerdings der Meinung, dass die Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, viel zu restriktiv sind.

Aus unserer Sicht ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung darauf angelegt, die berechtigten Anliegen von Geflüchteten, Unternehmer*innen und Flüchtlingshilfsorganisationen aufgrund des derzeit vorherrschenden politischen Willens für Aufenthaltsbeendigung und Abschiebung ins Leere laufen zu lassen. Dies zeigt sich auch am parallel von Bundesinnenminister Seehofer am 1.2.2019 vorgelegten „Zweiten Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung der Ausreisepflicht“, das zahlreiche Verschärfungen im Umgang mit „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ vorsieht und rechtsstaatliche Grundsätze dem politischen Abschiebungswillen unterordnet.

Deswegen fordern wir, dass das „Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“ nachgebessert wird. Es kann vor allem nicht sein, dass abgelehnte Asylsuchende, die eine Arbeitsstelle haben, erst zwölf Monate lang im Besitz einer Duldung sein müssen, bevor sie einen Antrag auf eine Beschäftigungsduldung stellen dürfen. Diese Zeit werden die Ausländerbehörden ausnutzen wollen, um die Aufenthaltsbeendigung bzw. Abschiebung zu betreiben. Die Wirtschaftsverbände und Unternehmerinitiativen, die einen „Spurwechsel“ gefordert haben, werden dadurch gerade eben nicht die Rechtssicherheit bekommen, die sie für die Einstellung und Beschäftigung von geflüchteten Menschen benötigen. Wir kritisieren auch, dass eine Beschäftigungsduldung nur bekommen kann, wer bereits seit 18 Monaten eine Vollzeitstelle hat (Alleinerziehende 20 Std. / Woche) und nachweisen kann, dass der Lebensunterhalt bereits in den vergangenen 12 Monaten vollständig selbst gesichert war und in Zukunft gesichert sein wird. Dies ist angesichts der auf dem Arbeitsmarkt üblichen zum Teil prekären Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeitbeschäftigungen, Zeitarbeitsverhältnisse, befristete Stellen etc.) gerade bei Personen, die häufig wegen ihrer relativ geringen Qualifikationen zunächst in Helferjobs tätig werden müssen, nur als weltfremd und zynisch anzusehen. Der Gesetzgeber möchte sich offenbar nur ein paar wenige Rosinen aus der Schar der Geflüchteten herauspicken und ansonsten „Härte“ zeigen. Doch auch Menschen, die in Teilzeitjobs oder auf Helferstellen tätig sind, erfüllen für die Wirtschaft und die Gesellschaft eine wichtige Funktion und sollten eine Chance bekommen. Deswegen fordern wir, dass die Voraussetzungen erfüllt sein sollten, wenn die arbeitsvertraglich geregelte Probezeit zu Ende ist und das Beschäftigungsverhältnis weiterbesteht. Des Weiteren finden wir es wichtig, dass die Vorschriften zur Identitätsklärung und Passbeschaffung weniger restriktiv gehandhabt werden. Wir fordern hierbei, dass die zuständigen Behörden in jedem Einzelfall proaktiv bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung aufklären und unterstützen und in jedem Einzelfall wohlwollend die geleisteten Bemühungen berücksichtigt werden.

Aus diesen Gründen fordern wir die Bundestagsabgeordneten unserer Region auf, sich entsprechend für Nachbesserungen dieses Gesetzes einzusetzen. Was da am 1.1.2020 in Kraft treten soll und wofür es jetzt in Baden-Württemberg eine Vorgriffsregelung gibt, ist aus unserer Sicht in der jetzigen Fassung ein „Spurwechselverhinderungsgesetz“.

Innenminister Strobl sagt in seiner Pressemitteilung vom 27.3.2019: „Niemand kann unserer Bevölkerung erklären, dass wir abgelehnte Asylbewerber bei uns behalten, gleichgültig, ob diese eine begründete Bleibeperspektive haben oder nicht. Bleiben kann nur, wer eine Bleibeperspektive hat…“ Dies sei sein Verständnis von „Herz und Härte“.
Wir sagen dagegen: Eine „Bleibeperspektive“ kann auch jemandem gewährt werden, dessen Asylantrag abgelehnt wurde. Das ist eine Frage des politischen Willens. Niemand muss unbedingt abgeschoben werden. Die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes machen dies z.B. über die „Ermessensduldung“ (§ 60a Abs. 2 S.3 Aufenthaltsgesetz) oder über die bestehenden Bleiberechtsregelungen (z.B. § 18a, § 25a und b AufenthG) möglich. Es muss vor allem damit aufgehört werden, Menschen abzuschieben, die sich intensiv um ihre Integration bemüht haben, feste Arbeitsplätze haben und sich nichts zuschulden kommen lassen haben.
Es braucht im Umgang mit geflüchteten Menschen mehr Herz und mehr gesunden Menschenverstand – und weniger Härte.

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